Journalistin Kathrin Zeiske lebt in Mexiko. Für das Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat recherchierte sie vor Ort mit Fotograf Jürgen Escher – und lernte dabei ihre aktuelle Heimatstadt Ciudad Juárez neu kennen.
Ich lebe seit über einem Jahr in Ciudad Juárez. Als Zugezogene vergesse ich manchmal, dass es eine geteilte Stadt ist. Und damit meine ich nicht die Grenze zu El Paso, die ebenfalls absurd ist und Familien trennt. In Ciudad Juárez verläuft eine unsichtbare Linie zwischen Arm und Reich.
Natürlich ist sie nicht völlig unsichtbar. Klar ersichtlich ist, dass in den Häusermeeren im Westen und Süden nur materiell arme Menschen im Wüstenstaub wohnen. Und dass die Villen mit Säulen und Kuppelbauten hinter Eisentoren im grün bewässerten Westen der Stadt stehen. Weniger ersichtlich ist, dass sich aus dieser Gegend nie jemand ins Zentrum verirrt.
So waren wir bei der Recherche für Adveniat gegenseitig erstaunt, unser Begleiter Javier und ich: Er, dass ich fast täglich mit dem Fahrrad dort unterwegs bin. Ich, dass er seit gefühlten Jahrzehnten nicht mehr da war. Und dabei ist Javier wirklich kein Mensch, der nicht über den eigenen Horizont schaut.
Der ehemalige Spitzenmanager eines mexikanischen Großunternehmens war seinem Bruder aus bitterer Armut auf die Priesterschule gefolgt. Während dieser heute Generalvikar ist, lässt Javier anderweitig Glauben und Gerechtigkeit walten. Geht aus Prinzip zu Fuss und sagt seinem Chef zum Entsetzen seiner Ehefrau, er wolle keine Gehaltserhöhung.
Ein bisschen Mut
Aber als Jürgen, der Fotograf, am letzten Abend unserer Recherche sagt, ihm fehlten noch Fotos aus dem Zentrum, schaut Javier verunsichert. Er zieht mich zur Seite: und du bist da wirklich öfters? Regelmässig, versichere ich, am Wochenende sogar spät.
Die Fussgängerzone ist voller Menschen um diese Zeit. Familien, die den Abend genießen, Pärchen, die auf bemalten Bänken sitzen. Straßenverkäufer bieten Essen feil. Ein junger Mann hat ein Teleskop aufgestellt, mit dem man den Mond anschauen kann.
Wir gehen im Sonnenuntergang zur Grenzbrücke hinunter, dann zurück zur Kathedrale, die einst mit Unterstützung von Adveniat neben der kleinen Kolonialkirche entstand. Dann ins Café Nueva Central, ein traditionsreiches Familienunternehmen, das immer überfüllt ist.
Javier blüht auf. Erzählt uns von seiner Jugend, als er Süssigkeiten in den USA einkaufte, dann noch Limonen auf dem Markt und alles in seiner Nachbarschaft weiterverkaufte. Von unzähligen Streifzügen, die er unternahm, als Ciudad Juárez noch nicht das Synonym für „Drogenkrieg“, sondern das Las Vegas seiner Epoche war.
Als wir wieder im Auto sitzen, bedankt sich Javier bei mir. Am nächsten Tag erzählt er einer befreundeten Unternehmerin begeistert von unserem Ausflug und wie friedlich doch die Fussgängerzone im Abendlicht ist.
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